In letzter Zeit häufen sich Verfahren gegen Flüchtlinge wegen Verstosses gegen die
sogenannte Residenzpflicht.
Diese Regelung bestimmt, daß Flüchtlinge den ihnen zugewiesenen Landkreis nicht ohne vorherige Erlaubnis der Ausländerbehörde verlassen dürfen. So wurden in Jena 25 Flüchtlinge bereits bei ihrer Abfahrt zum Aktionscamp gegen das Ausreisezentrum in Fürth gestoppt, sie müssen mit Geldstrafen rechnen.
Einige Flüchtlinge weigern sich, diese Strafen zu bezahlen. In einem gut besuchten
Präzidenzprozess am 4. September in Worbis nutzten Cornelius Yufanyi und seine
Verteidiger den Gerichtssaal als politische Bühne, um demonstrativ die Residenzpflicht infrage zu stellen. Cornelius sollte eine Geldstrafe von 300 Euro zahlen, weil er im Mai 2000 in Jena an einem von ihm organisierten Flüchtlingskongress teilgenommen hatte. Vom Amtsgericht Worbis wurde er jetzt zu 15 Tagessätzen je 10 Euro, ersatzweise Haft verurteilt. Die Anwälte kündigten Berufung vor dem Landgericht an. Ihr Ziel ist es, vor dem europäischen Gerichtshof die Abschaffung der Residenzpflicht zu erreichen.
Videointerviews mit Cornelius Yufanyi, seinem Verteidiger Ulrich von Klinggräff sowie Impressionen von der Demonstration durch Worbis und eine bemerkenswerte Prozesserklärung unter:
http://www.umbruch-bildarchiv.de/video/prozess/corneliusyufanyi040903.h…
Urteil im Residenzpflichtsprozess
Am Donnerstag den 4.9.03 fand in Worbis der dritte Prozesstermin gegen Cornelius Yufanyi wegen Verletzung der Residenzpflicht statt. Die Residenzpflicht bestimmt, daß Flüchtlinge nicht ohne Genehmigung den ihnen behördlich zugewiesenen Landkreis verlassen dürfen. Eine Straftat, die Deutsche nicht begehen können, für Flüchtlinge jedoch eine massive Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit bedeutet. Cornelius Yufanyi hatte im Mai 2000 ohne Erlaubnis der Eichsfelder Ausländerbehörde einen von ihm organisierten Flüchtlingskongress in Jena besucht und weigerte sich seitdem, dafür 600 DM Strafe zu zahlen.
Etwa 100 Menschen fanden sich zur Kundgebung und Prozessbeobachtung vor dem Amtsgericht Worbis ein. Nur 40 BesucherInnen passten in den Verhandlungssaal, weshalb weitere Stühle herangeschafft werden mussten. Zu Prozessbeginn lehnte Cornelius erneut eine Einstellung des Verfahrens ohne Freispruch ab - in einer bemerkenswerten Rede, siehe Dokumentation weiter unten, begründete er, warum er niemals mehr für seine Bewegungfreiheit zahlen wird.
Die Richterin, um einen Abschluss bemüht, handelte drei Beweisanträge der Verteidiger Ulrich von Klinggräff und Stefan Schrage damit ab, dass sie die Angaben als wahr unterstellte: Rassistisches Fehlverhalten der Ausländerbehörde, unwürdige Lebensumstände im abgelegenen Asyllager Weilrode sowie die psychische Notwendigkeit eines Aufenthaltes Yufanyis außerhalb des Landkreises. Das
Verfahren wollte sie aber nicht ohne Schuldspruch beenden und schloss sich dem Staatsanwalt an, der für eine "geringe Geldstrafe" plädierte: 15 Tagessätze zu je 10 Euro oder 15 Tage Haft und darauf verwies, dass das Amtsgericht Worbis keine politischen Prozesse führt.
Cornelius Yufanyi will weiterhin keine Strafe zahlen. Die Anwälte kündigten Berufung vor dem Landgericht an. Ihr Ziel: der europäische Gerichtshof und die endgültige Abschaffung der Residenzpflicht. Der Tag endete mit einer lautstarken Demonstration durch das kleine Worbis, dort dürften mittlerweile viele Leute diese rassistische Sonderregelung kennen.
Siehe hier zwei Kurzvideos:
Interview mit Cornelius Yufanyi und Impressionen von der Demonstration.
(2'48 für Windows Media Player)
Ulrich von Klinggräff - Einschätzung des Prozesses
(4'40 für Windows Media Player)
Kontakt: The VOICE Göttingen, Lange Geismar Strasse 73, 37073 Göttingen, Tel. 0551- 58892, Fax: 0551-58898, e-mail: the_voice_goettingen@gmx.de
Rede von Cornelius Yufanyi vor Gericht
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
Mit Respekt vor Ihrer ehrenhaften Position und vor dem Gesetz des Landes, welches Sie durch Ihren Beruf und Ihre Persönlichkeit vertreten, würde ich Ihnen gerne meine Erfahrungen und Beschwerden, meinen Fall mit dem Aktenzeichen Nr. 403Js51861/00(1Cs) betreffend, mitteilen. Mein Fall wurde am 12. Oktober 2000 in Worbis vor Gericht gebracht.
Wie Sie bereits wissen, war ich ein Asylsuchender aus Kamerun und lebe seit dem Januar 1999 in Deutschland. Ich hatte immer um Erlaubnis gebeten, bevor ich meinen Landkreis verlassen wollte, auch wenn mir die Genehmigung in den meisten Fällen nicht erteilt wurde. Mir wurden mehr als 30 nachweisliche Genehmigungen zum Verlassen des Landkreises gegeben. Dies beweist, dass ich dazu in der Lage bin die Gesetze zu respektieren, besonders in Deutschland. Obwohl ich das Residenzpflichtgesetz vom ersten Tag meiner Kenntnis an als diskriminierend und kriminalisierend den Flüchtlingen gegenüber empfand, hatte ich es weiterhin respektiert, um meinen Willen zu beweisen, unter den Gesetzen jeder Gesellschaft, in der ich mich befinde, zu leben.
Durch das Residenzpflichtgesetz und andere rassistische, diskriminierende Gesetze die in diesem Land für Flüchtlinge gelten, die auf ihre legale Aufenthaltsgenemigung warten, empfand ich meine Rechte als freier Mensch zu leben als stark eingeschränkt. Ich wurde physisch und mental gefoltert, entehrt, diskriminiert und kriminalisiert. Meine Menschenwürde wurde beeinträchtigt und fast zerstört.
Das Residenzpflichtgesetz widerspricht § 13 (i) der universellen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von der UNO etabliert wurden, und die Deutschland als Mitglied der UNO unterzeichnet hat. Zitat: " Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnortes innerhalb eines Staates.". Ich hatte mir niemals ausgesucht, in Weilrode zu wohnen. Dieses Gesetz beschränkte auch mein freies Bewegungsrecht, welches ich als mein Geburtsrecht verstehe.
Aus all diesen Gründen war ich verbittert und behielt mir vor, für die Abschaffung dieses Gesetzes zu kämpfen. Die Anerkennung aller Menschen als Gesamtheit sollte Gesetzen den Weg öffnen, die die Einheit, Integration und Kooperation fördern, und nicht Gesetze hervorbringen, die die Trennung, Klassifizierung, Folterung und Zerstörung von Menschen verstärken. Seit dem Beginn meines Aufenthaltes in Deutschland habe ich gegen Rassismus, Faschismus und Rechtsradikalismus und für die Verbesserung der Gesellschaft, in der ich lebe, gekämpft. Ich habe zur Integration und Zivilcourage zwischen Deutschen und Ausländern aufgerufen, und was erhielt ich als Ergebnis? Eine Geldstrafe von mehr als 700,00 DM. Mit diesen Gesetzen bereiten wir einen Brutplatz für das, was wir vorgeben zu bekämpfen: "Rassismus und Rechtsradikalismus".
Mit dem Rest meiner Würde werde ich solange ich lebe gegen dieses Gesetz angehen und niemals Verhältnisse akzeptieren, die dieses Gesetz existenzfähig machen. Ich werde die Konsequenzen, die mich erwarten, akzeptieren und ich bin darauf vorbereitet, meinen Fall bis vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen. Ich werde niemals für mein Recht auf Bewegungsfreiheit bezahlen.
Am ersten Tag der Verhandlung, am 12. 10. 2000, brachte ich meine Meinung bezüglich dieses Falles zum Ausdruck.
Wie Sie erfahren haben können, bin ich jetzt verheiratet und habe eine Tochter. Ich studiere außerdem jetzt in Göttingen, wo ich auch lebe. Die Flüchtlingsorganisation The VOICE Forum, die für die Verteidigung der Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen kämpft, und in der ich arbeite, hat sich nach Göttingen ausgedehnt. Ich kann mich jetzt frei bewegen, ohne dass ich daran denke, dass ich dabei meinen Landkreis verlasse, dennoch fühle ich immer noch die Angst vor Verfolgung, die mir an genau dem Tag, als ich um Asyl bat, eingeflößt wurde - mit Gesetzen wie demjenigen, aufgrund dessen ich angeklagt wurde.
Ich erwähnte all diese Dinge, weil ich nur genau einen Punkt zum Ausdruck bringen wollte. Der Unterschied von mir heute im Vergleich zu mir an dem ersten Tag, an dem ich vor diesem Gericht stand, ist, dass ich erst 26 Jahre alt war und jetzt 29 Jahre alt bin. Wie konnte es passieren, dass ich, Cornelius Yufanyi, die gleiche Person, die hier vor drei Jahren stand, in zwei unterschiedlichen Welten leben konnte - in der Welt mit psychischer Folter und Qualen und in einer Welt mit Zukunft - beides in einem demokratischen Land mit Grundrechten wie Deutschland.
Ich erhielt meinen gegenwärtigen Status, weil ich gegen schlimme Gesetze wie dieses aufschreien und protestieren musste und manchmal brach ich sie auch. Wie kann es möglich sein, dass ein Fremder oder ein Flüchtling in Deutschland ein Krimineller werden muss, damit er oder sie eine Zukunft in diesem Land haben kann? Ich habe mein Deutsch außerhalb des Landkreises Eichsfeld gelernt, auf den mein Aufenthalt beschränkt worden war. Ich und etwa 80 andere Flüchtlinge lebten in Weilrode, in einem Heim, welches jetzt aufgrund des zunehmenden Protestes von Flüchtlingen geschlossen ist, etwa 30 km von Worbis entfernt, wohin wir nicht zweimal im Monat fahren konnten aufgrund der hohen Buskosten. Wie können wir von der Integration der AusländerInnen sprechen, wenn wir sie im Wald halten?
Madame, um nicht lange Worte zu machen, in den letzten drei Jahren haben wir auf dieses Gericht Druck ausgeübt, nicht weil wir Sie herausfordern wollen, sondern weil ich und auch andere Leute dachten, dass Sie mit einem Beispiel vorangehen sollten in der Verteidigung der Rechte und der zivilen Freiheiten der Flüchtlinge und der AusländerInnenInnen im Allgemeinen. Ihre Entscheidung, die Beschränkung der Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge als Grund- und Menschenrechtsverletzung anzusehen, wird als ein Eckstein für den Kampf gegen Apartheid, Diskriminierung und soziale Ausgrenzung in diesem Land dienen. Sie werden nicht die Einzige sein, die gegen dieses Gesetz ist, denn auch Andere haben ihrer Meinung durch Faxe und durch ihre Anwesenheit in der Verhandlung Ausdruck gegeben.
Ich muss außerdem sagen, dass ich nicht nur ein Flüchtling bin, wie man so sagen könnte, sondern dass ich auch vollständig zur Entwicklung dieses Landes Deutschland beitrage - in meiner Menschenrechtsarbeit, meinem Studium, meiner Arbeit, als Familienvater.
Ich appelliere abermals an Sie als Verteidigerin der Gerechtigkeit in Deutschland, auf den Schrei der Flüchtlinge und anderer BürgerInnen in ihrem Land zu hören.
Heute bin ich zum dritten Mal zu diesem Gericht bestellt worden, um für Straftaten beschuldigt zu werden, die Deutsche niemals begehen können. Heute habe ich zum dritten Mal gezeigt, dass nicht ich derjenige bin, der angeklagt wird, sondern der deutsche Staat, der diese undenkbare Menschenrechtsverletzung gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen begangen hat. Die Residenzpflicht kann indirekt mit einem der Gesetze verglichen werden, die während des inzwischen abgeschafften Apartheid Regimes in Südafrika existiert haben, dem Pass-Gesetz. Mit Blick auf die deutsche Geschichte, die Sie mit Sicherheit besser kennen werden als ich, stellt man fest, dass dieses Gesetz vor und während der NS-Zeit Anwendung fand. Es ist eine Schande und ein Skandal, dass dieses Gesetz heute immer noch im deutschen Rechtssystem existiert. In allen drei erwähnten Instanzen wurde und wird dieses Gesetz immer gegen AusländerInnen angewandt, die in Deutschland gelebt haben und heute weiterhin leben. Ich denke, im heutigen Zeitalter, dem 21. Jahrhundert, sollte dieses Gesetz längst Teil der Geschichte sein und eigentlich sollte allen Familien, die darunter leiden mussten und heute noch leiden müssen, eine Wiedergutmachung gezahlt werden.
Ich wurde vor drei Jahren angeklagt, weil ich an einem Kongress teilgenommen habe, den meine Organisation organisiert hatte, und von dem ich einer der Hauptkoordinatioren war. Ich schrieb Einladungen an ausländische Teilnehmende, die tausende von Kilometern entfernt wohnten, die ihre Visas bekamen, um an diesem 10-tägigen Kongress teilzunehmen - und ich bekam keine Erlaubnis, um meinen nur einige Kilometer entfernten Landkreis verlassen zu können. Was für ein Widerspruch?! Ich würde sagen, ich werde indirekt beschuldigt, einen Kongress organisiert zu haben, in dem es darum ging, die Probleme und die Organisation von Flüchtlingen und MigrantInnen zu diskutieren, ein Kongress gegen Abschiebung und soziale Ausgrenzung. Ich werde dafür verfolgt, dass ich politische Arbeit mache, und ich sowie andere Flüchtlinge laufen nun Gefahr, eine Geldstrafe bis zu 2500 € zahlen oder ins Gefängnis gehen zu müssen, oder sogar abgeschoben zu werden - weil sie dieses diskriminierende und rassistische Gesetz verletzt haben. Dieses Gesetz sowie andere Gesetze des Asylbewerberleistungsgesetzes kriminalisieren unsere Existenz als MENSCHEN und bringen uns in genau die gleiche Situation mit genau den gleichen Gründen, die uns dazu trieben, aus unseren Herkunftsländern zu fliehen. Dieses Gesetz zeigt, wie wenig die deutsche Gesellschaft integriert ist, und es zeigt ebenso, wie der deutsche Staat durch seine rechtliche, politische und polizeiliche Maschinerie Rassismus und Hass in der deutschen Gesellschaft entflammt. Denn die Kontrollen durch Polizei, Bundesgrenzschutz und Zoll z.B. finden entlang phänotypischer Merkmale statt und laden BeamtInnen zur diskriminierenden Kontrolle aller als "nicht-deutsch" wahrgenommenen Personen ein.
Mein Professor sagt immer "Lange Rede, kurzer Sinn". Ich werde hier schließen, indem ich den Schwur wiederhole, den ich am ersten Tag meiner Anhörung machte. Ich werde nie für mein Recht auf Bewegungsfreiheit bezahlen, welches ich, so glaube ich, von Geburt an habe. Ich stehe nicht über dem Gesetz und ich denke, niemand in Deutschland sollte über dem Gesetz stehen. Die Deutschen aber stehen über diesem Gesetz, deshalb ist es rassistisch. Da es nur Flüchtlinge betrifft, ist es diskriminierend, und weil hunderte Menschen durch dieses Gesetz gefoltert und diskriminiert wurden und werden, gehört es abgeschafft. Ich fordere die Abschaffung dieses Gesetzes und gleiche Rechte für alle.
Lang leben der antirassistische Kampf und die Menschen, die ihn kämpfen.
In der Hoffnung, das dies ein Präzedenzfall zur Abschaffung des Residenzpflichtgesetzes wird.
Cornelius Yufanyi
Residenzpflichtverfahren gegen Sunny Omwenyeke
Sunny Omwenyeke (The VOICE, Bremen) steht vor Gericht,weil er die "Residenzpflicht" verletzt hat und nicht bereit ist, die dafür gegen ihn verhängte Strafe zu bezahlen.
Während seiner Teilnahme an verschiedenen Karawane-Aktivitäten ist er im Jahr 2000
mehrfach von der Polizei außerhalb seines früheren Landkreises Wolfsburg
kontrolliert worden; unter anderem weil er wie Cornelius Yufanyi an einem
Flüchtlingskongress Ende April 2000 in Jena teilgenommen hatte, obwohl er dafür
keine Erlaubnis der Ausländerbehörde erhalten hatte. Nachdem das Verfahren gegen ihn
in der ersten Anhörung am 6. Februar 2001 zunächst wegen Geringfügigkeit eingestellt
wurde, rollte der Staatsanwalt es jetzt wieder neu auf. Nun soll Sunny Omwenyke 30
Tagessätze zu 7,50 Euro Geldstrafe bezahlen oder ersatzweise für 30 Tage ins
Gefängnis gegen.
Am Mittwoch, den 1. Oktober 2003 findet der zweite Prozesstag am 13:45 Uhr im
Amtsgericht Bremen, Ostertorstrasse 25 - 31 (Eingang B) statt. Wie schon am ersten
Gerichtstag (24.9.03) gibt es auch diesmal eine Mahnwache um 13.00 Uhr vor dem
Amtsgericht Bremen, zu der alle herzlich eingeladen sind.
Ein Video-Interview mit Sunny Omwenyke, seine Erklärung und einige Eindrücke vom
ersten Prozesstag unter
http://www.umbruch-bildarchiv.de/video/portrait/sunnyomwenyeke011003.ht…
Prozess gegen
Sunny Omwenyeke
Sunny Omwenyeke (The VOICE, Bremen) steht vor Gericht, weil er die "Residenzpflicht" verletzt hat und nicht bereit ist, die dafür gegen ihn verhängte Strafe zu bezahlen. Während seiner Teilnahme an verschiedenen Karawane-Aktivitäten ist er im Jahr 2000 mehrfach von der Polizei außerhalb seines früheren Landkreises Wolfsburg kontrolliert worden; unter anderem weil er wie Cornelius Yufanyi an einem Flüchtlingskongress Ende April 2000 in Jena teilgenommen hatte, obwohl er dafür keine Erlaubnis der Ausländerbehörde erhalten hatte. Nachdem das Verfahren gegen ihn in der ersten Anhörung am 6. Februar 2001 zunächst wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde, rollte der Staatsanwalt es jetzt wieder neu auf. Nun soll Sunny Omwenyke 30 Tagessätze zu 7,50 Euro Geldstrafe bezahlen oder ersatzweise für 30 Tage ins Gefängnis gegen.
Am Mittwoch, den 1. Oktober 2003 findet der zweite Prozesstag am 13:45 Uhr im Amtsgericht Bremen, Ostertorstrasse 25 - 31 (Eingang B) statt. Wie schon am ersten Gerichtstag (24.9.03) gibt es auch diesmal eine Mahnwache um 13.00 Uhr vor dem Amtsgericht Bremen, zu der alle herzlich eingeladen sind.
Untenstehend eine Stellungnahme von Sunny Omwenyeke und einige Eindrücke vom ersten Prozesstag.
Das folgende Interview mit Sunny Omwenyeke entstand vor seiner ersten Gerichtsverhandlung während eines bundesweiten Karawanetreffens in Berlin am 20. Januar 2001. Streaming-Video 6'56 Min.
Kontakt und weitere Informationen: Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant/innen in Bremen, Bernhardtstrasse 10-12, 28203 Bremen, Fon: 0179-4850098, 0421-7901309, mail@basicrights.de, www.basicrights.de, 0179-4850098.
Interview: Jetti/Umbruch-Bildarchiv
Klicke auf das obenstehende Bild und siehe ein Streaming Video. (6'56 Min.)
Den dafür benötigten Real Player gibt es hier frei zum downloaden.
FÜR DIE BEWEGUNGSFREIHEIT von Flüchtlingen
Ich bin Mitglied von "The VOICE Refugee Forum und der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant/innen, und stehe beim Amtsgericht Bremen
unter Anklage, weil ich gegen die sogenannte Residenzpflicht verstoßen habe.
Der verhandelte Fall geht zurück ins Jahr 2000, als ich noch in Wolfsburg als Asylbewerber lebte und von den dortigen Behörden aufgrund meiner politischen Aktivitäten keine Genehmigung mehr zum Verlassen der Stadt bekam.
Die Verhandlung wurde für Mittwoch, den 24. September 2003 einberufen. Viele Menschen, kamen zur Verhandlung, um mich in meinem Kampf für mein Grundrecht auf Bewegungsfreiheit zu unterstützen - einige sind extra aus anderen Städten angereist.
Der zuständige Richter Rathke zeigte sich von Anfang an sehr voreingenommen und machte seinen Unmut deutlich, dass mehr Besucherinnen und Besucher dem Prozess beiwohnen wollten als Stühle im Gerichtssaal waren, und deshalb der Beginn des Prozesses etwas verzögert wurde.
Zu Beginn der Verhandlung Fragte mich der Richter, ob ich die Klage nicht doch noch zurückziehen wolle, das bestehende Strafmass könnte sich ja schließlich noch mehr zu meinen ungunsten verändern. Das war für mich völlig inakzeptabel. Die Rechtsanwältin Gabriele Heinecke hat dann zwei Anträge gestellt:
1.) dass der Fall an das Bundesverfassungsgericht überstellt werden solle, weil das BVG bislang noch kein Urteil über die Rechtmäßigkeit der nur in
Deutschland existierenden Residenzpflicht gefällt hat. Denn mit dem Internationalen Recht und der Genfer Flüchtlingskonvention ist das Gesetz nicht vereinbar.
2.) Das Gericht solle meine Rechtshilfekosten übernehmen - beide Anträge wurden abgelehnt.
Im weiteren Verlauf des Prozesses stellte sich heraus, dass Herr Rathke erhebliche Wissenslücken im Ausländergesetz hat und noch nicht einmal die Grundzüge des Asylrechts kennt. Der geladene Zeuge, ein Sachbearbeiter von der Bremer Ausländerbehörde diente in erster Linie dazu, den Richter über den Aufenthaltsstatus von mir aufzuklären, und dass ich jetzt, da ich mit einer Deutschen verheiratet und als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention (§51 Auslg.) anerkannt bin und eine Aufenthaltserlaubnis habe, nicht mehr gegen die Residenzpflicht verstoßen kann.
Eine entscheidende offene Frage in dem Verfahren war aber die Tatsache, dass mir von meiner Ausländerbehörde in Wolfsburg eine Erlaubnis zum Verlassen des Stadtgebietes aus willkürlichen Gründen verweigert wurde. Deshalb hatte der Richter am Ende dem Antrag meiner Rechtsanwältin stattgegeben, den Leiter der Wolfsburger Ausländerbehörde Werner Pils als Zeugen vorzuladen. Ich verspreche mir zwar nichts mehr von dem Prozess an sich, denn Herr Rathke schien schon vor Beginn des Prozesses entschlossen zu sein, mich zu verurteilen, so sollte es für die Öffentlichkeit doch von hohem Interesse sein, mit welcher Begründung Herr Pils mir das Verlassen der Stadt Wolfsburg verboten hat. Darin wird sich nicht nur die Verletzung meiner persönlichen Grundrechte deutlich machen, sondern es offenbart sich, wie die Behörden das Elend der Flüchtlinge in diesem Land potenzieren.
GERICHTSVERHANDLUNG - ERSTER TEIL
Nachdem alle Versuche fehlschlugen eine Erlaubnis zu erhalten, um an den Vorbereitungstreffen für den Internationalen Flüchtlingskongress und dem Kongress selbst (20. April - 1. Mai 2000) teilzunehmen, hatte ich keine andere Alternative als ohne Erlaubnis der Stadt Wolfsburg daran teilzunehmen. Im Verlauf der Vorbereitungen wurde ich außerhalb meines Landkreises kontrolliert. Ich wurde ebenso bei den Demonstrationen gegen den Staatsbesuch des iranischen Präsidenten Khatami in Weimar kontrolliert,an denen ich zusammen mit anderen Mitgliedern von "The VOICE" und der "Karawane" am 12. Juli 2000 teilgenommen hatte.
Für diese Kontrollen wurde mir eine Geldstrafe in Höhe von 300,- DM oder 30 Tage Gefängnis auferlegt. Ich verweigerte die Zahlung und focht sie vor Gericht an. Die Anhörung, die am 6. Februar 2001 im Amtsgericht Wolfsburg stattfand, endete damit, dass die Forderung mir gegenüber fallengelassen wurde; der Prozess war von überwältigender öffentlicher Unterstützung begleitet. Wohl aus Angst vor weiteren öffentlichen Demütigungen wureden alle anderen Residenzpflichtverfahren eingestellt.
Als ich 2001 offiziell nach Bremen umzog, entschloss sich die Staatsanwaltschaft die Verfahren wieder zu eröffnen. Ich sollte einen Tagessatz von 7.50 ? für 30 Tage zahlen. Ich verweigerte wieder die Zahlung und formulierte meine Bereitschaft, wieder vor Gericht zu gehen, neu. In den letzten zwei Jahren hat der Richter eine landesweite Befragung aller Polizisten betrieben, die mich jemals in diesem Land bei Verstößen gegen die Residenzpflicht kontrolliert haben. Dies bringt uns zum zweiten Teil der Gerichtsverhandlung am Mittwoch.
HINTERGRUND
Ich möchte daran erinnern, dass ich mich seit meiner Unterbringung in Wolfsburg im November 1998 stets bei der zuständigen Ausländerbehörde um eine Erlaubnis bemüht habe, bevor ich die Stadt aus welchem Grund auch immer verlassen wollte. Und fairerweise muss man sagen, dass die Ausländerbehörde mir die ersten Male Genehmigungen erteilte. Sobald die Behörden jedoch Kenntnis darüber erlangten, dass ich als Mitglied von The VOICE und der Karawane politisch sehr engagiert war, beschlossen sie, mir von nun an, keinerlei Genehmigungen mehr zum Verlassen des Landkreises Wolfsburg zu erteilen, um so meine Teilnahme an jeglichen politischen Aktivitäten zu beschränken. Ihre Begründung dabei war, dass ich als in Wolfsburg lebender Flüchtling nicht das Recht hätte, mich an politischen Aktivitäten in Deutschland zu beteiligen, insbesondere wenn es dabei um das Wohlbefinden und die Situation von Flüchtlingen ging. Ihnen zufolge würde ich gegen die Regierung des Landes kämpfen, das mich großzügigerweise als Gast aufgenommen hat. Vor diesem Hintergrund war es für mich nicht einmal mehr möglich, Genehmigungen für die Teilnahme an Treffen und Aktivitäten zu erhalten, bei denen es um mein Heimatland Nigeria ging.
Zweimal hatte ich Gelegenheit mit der Bürgermeisterin, Frau Ingrid Ecke, zu sprechen, und brachte diese Angelegenheit zur Sprache. Sie versprach mir, mit den Mitarbeitern der Ausländerbehörde zu reden, doch nichts geschah. Verschiedene Male hatte ich hitzige Debatten mit dem Chef der Ausländerbehörde, Herrn Werner Pils, doch er hielt daran fest, dass ich keinerlei Genehmigungen zum Verlassen von Wolfsburg mehr erhalten würde.
Trotz alledem bat ich während der Vorbereitungstreffen für den Internationalen Flüchtlingskongress in Jena erneut um Genehmigung, die jedoch wiederum abgelehnt wurden. Als Sekretär des Organisationskomitees musste ich aber an den Vorbereitungstreffen teilnehmen. Bei der Rückfahrt von einem dieser Treffen kam die Polizei auf der Strecke zwischen Magdeburg und Braunschweig in den Zug und kontrollierte mich ohne dass ich eine Erlaubnis zum Verlassen meines Landkreises vorzeigen konnte. Im Rahmen der Vorbereitungen für den Kongress schrieb ich viele Einladungen für unsere internationalen Gäste aus anderen Teilen Europas und der ganzen Welt, einschließlich eines Gastes aus Kanada, der aufgrund der Einladung ein Visum erhielt und zum Kongress kam. In der Zwischenzeit wurde mir sogar für die Teilnahme an dem Kongress eine Genehmigung verweigert - trotz der Fürsprache der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Frau Marieluise Beck und trotz meines Einspruchs bei Gericht.
Wie viele andere Flüchtlinge, denen die Erlaubnis zur Teilnahme an diesem internationalen Flüchtlingskongress verweigert worden war, entschloss auch ich mich zu zivilem Ungehorsam, um diesem unmenschlichen und erniedrigenden Gesetz zu trotzen, welches eine schwerwiegende Verletzung unserer Menschenrechte und eine klare Diskriminierung von Flüchtlingen darstellt. Seitdem fanden verschiedene Aktionen statt und einige von uns, wie z.B. Herr Cornelius Yufanyi (ebenfalls Mitglied von The VOICE) standen deshalb bereits vor dem Gericht. Ich rufe alle fortschrittlichen Personen, Unterstützer/innen und Aktivist/innen auf, der Anhörung beizuwohnen. Zeitgleich ist eine Kundgebung draußen vor dem Gerichtsgebäude während und nach der Anhörung geplant.
Sunny Omwenyeke
Was ist die "Residenzpflicht" für Flüchtlinge?
Flüchtlinge in Deutschland dürfen sich nach einer Bestimmung des Asylverfahrensgesetzes nicht frei bewegen. Ihre Bewegungsfreiheit ist auf den Landkreis beschränkt, in dem ihre Unterkunft gelegen ist. Nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Ausländerbehörde dürfen sie ihren Landkreis verlassen. Diese Erlaubnisse werden ihnen jedoch fast regelmäßig verweigert. So kann es sein das Flüchtlinge oft jahrelang in einem äußerst kleinen Gebiet einsperrt sind. Die Residenzpflicht für Flüchtlinge existiert in keinem anderen Land in Europa.
Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant/innen in Bremen
Bernhardtstrasse 10-12, 28203 Bremen, Fon: 0421-7901309,
mail@basicrights.de, www.basicrights.de, 0179-4850098.
Weitere Informationen:
- Bericht über die Gerichtsverhandlung am 1. 10. 2003 in der taz
- Erste Gerichtsverhandlung gegen Sunny Omwenyeke am 6. Februar 2001 in Wolfburg
- Erfolg: Residenzpflichtverfahren gegen Sunny Omwenyeke auf der Verhandlung am 6. Februar 2001 eingestellt
- Urteil im Residenzpflichtverfahren gegen Cornelius Yufanyi (Videos)
- Telefoninterview mit Cornelius Yufanyi und Kurzvideo: Hintergrund zur Residenzpflicht
- Webjournal zum Karawane-Kongress in Jena mit ausführlichen Berichten über die Themen des Kongresses
- Aktionstage gegen die Residenzpflicht vom 17.-19. Mai 2001 auf dem Berliner Schlossplatz